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Historische Kalenderblätter
Hans von Lehndorff - 30. Todestag
September 2017 *13. April 1910 in Graditz/Kr. Torgau; †7. September 1987 in Bonn
»Noch einmal, ehe die Kriegswalze darüber hinging, entfaltete sich meine ostpreußische Heimat in ihrer ganzen rätselvollen Pracht. Wer die letzten Monate mit offenen Sinnen erlebte, dem schien es, als sei noch nie vorher das Licht so stark, der Himmel so hoch, die Ferne so mächtig gewesen. Und all das Ungreifbare […] nahm in einer Weise Gestalt an, wie es nur in der Abschiedsstunde Ereignis zu werden vermag.«
1961 leitetet Hans Graf von Lehndorff mit diesen Worten sein »Ostpreußisches Tagebuch« ein. Das Buch gehört mit den darin enthaltenen, erschütternden Berichten, die er als Arzt zwischen 1945 und 1947 im besetzten Königsberg erlebte, zu seinen bekanntesten Publikationen als Schriftsteller. Lehndorff bewahrte die Aufzeichnungen vor der Veröffentlichung zunächst viele Jahre in einer Schublade auf, ehe er sie der breiten Öffentlichkeit präsentierte. Mit dem Tode Lehndorffs vor 30 Jahren verstummte eine der wichtigsten Stimmen des fernen Ostpreußens. Geblieben sind bedrückende Schilderungen, die auf eindringliche Art und Weise vom Leid der ostpreußischen Bevölkerung berichten.
Hans Graf von Lehndorff wurde am 13. April 1910 in Graditz bei Torgau geboren. Seit dem 18. Jahrhundert gehörte sein Geburtsort mit den anliegenden kurfürstlichen Gestütsanlagen zu den bekanntesten Zuchtstätten für edle Vollblutpferde. Nach der Eingliederung in das Königreich Preußen (1815) entwickelte sich die Anlage zu einem königlichen Hauptgestüt, dessen Leitung der Vater des Grafen Lehndorff, Siegfried Graf Lehndorff, übernahm. Hans Graf von Lehndorff erlebte, trotz mancher Entbehrungen während des Ersten Weltkrieges eine weitgehend unbeschwerte Kindheit. Seine Jugend verbrachte er nach dem Krieg in Trakehnen, wohin die Familie 1922 gezogen war. Die Pferdezucht und das Jagen waren fortan die bestimmenden Tätigkeiten, die der Junge in seiner Freizeit auf den weiten Grünflächen der Trakehner Gestütsanlagen und in den dichten Wäldern der Rominter Heide ausübte. Häufig besuchte die Familie von Trakehnen aus das westpreußische Gut Januschau bei Dt. Eylau, wo Lehndorffs Großmutter, Maria von Oldenburg, lebte. Nach seinem Abitur, das er 1928 auf der Friedrichschule in Gumbinnen absolvierte, studierte Lehndorff Medizin in München und Berlin. An der Friedrich-Wilhelms-Universität (heute Humbold-Universität) in Berlin erwarb er 1936 sein medizinisches Staatsexamen, gefolgt von einer Anstellung an einem Berliner Krankenhaus. Lehndorff zog es jedoch nach Ostpreußen zurück. 1941 wurde er Assistenzarzt und Chirurg am Kreiskrankenhaus in Insterburg. Hier pflegte er engen Kontakt zur Bekennenden Kirche, die im Verborgenen gegen die Gleichschaltung der evangelischen Kirche durch die Nationalsozialisten kämpfte. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 verurteilte der Volksgerichtshof Lehndorffs Vetter, Heinrich Graf von Lehndorff-Steinort, im Zuge eines Schauprozesses zum Tode. Die Hinrichtung erfolgte am 4. September 1944 in Berlin-Plötzensee.
Anfang 1945 leitete Hans Graf von Lehndorff zunächst in Insterburg und anschließend in Königsberg mehrere Lazarette, in denen verletzte Soldaten und Zivilisten behandelt wurden. In der ostpreußischen Hauptstadt erlebte er ab dem 13. Januar 1945 die Belagerung der zur »Festung« erklärten Stadt durch die Rote Armee. Als Königsberg nach monatelangem Artilleriebeschuss schließlich im April besetzt wurde, harrte Lehndorff mit den verbliebenen Pflegekräften weiter bei den Verwundeten und Kranken aus. Was er und sein Personal von da an erlebten, übersteigt noch heute jegliche Vorstellungskräfte: Vergewaltigungen, Plünderungen, Erschießungen, mutwillig angelegte Brände und verzweifelte Selbsttötungen reihten sich Tag für Tag aneinander. Hans Graf von Lehndorff blieb bis Oktober 1945 in Königsberg, ehe er sich auf die Flucht in Richtung Westen begab. In Kontken bei Stuhm entdeckte er die Stelle, wo seine Mutter und der Bruder Heinfried auf der Flucht ums Leben kamen. Der Vater überlebte den Krieg und verstarb 1956 in Westdeutschland. Hans Lehndorffs Brüder Meinhard und Elhard erlitten hingegen den Soldatentod. Georg, ein weiterer Bruder, starb 1943 an einer Hirnblutung. Hans Graf von Lehndorff arbeitete noch bis Mai 1947 in Rosenberg, ehe er schließlich in die westdeutschen Besatzungsgebiete ausreiste. Im Bonner Stadtteil Bad Godesberg leitete er in der Nachkriegszeit eine Klinik. Darüber hinaus engagierte er sich in der Krankenhausseelsorge und in einer Diakonie. Er heiratete Margarethe Gräfin von Finckenstein, die ihn bei seiner Arbeit über viele Jahrzehnte unterstützte und ihm zwei Kinder gebar. Neben seiner Tätigkeit als Arzt und Schriftsteller gehörte Lehndorff ab 1949 dem Johanniterorden als Ehrenritter und ab 1952 als Rechtsritter an. Von 1954 bis 1962 führte er die Preußische Genossenschaft des Johanniterordens als Kommendator. Sein 1968 gedichtetes Lied »Komm in unsre stolze Welt« ist als Nr. 428 im Evangelischen Gesangbuch (EG) enthalten. Nach langer schwerer Krankheit verstarb Hans Graf von Lehndorff wenige Monate nach seiner Ehefrau Margarethe am 7. September 1987 in Bad Godesberg. 2006 wurde eine Straße in Bonn in »Graf-Lehndorff-Straße« benannt.
Ehrungen
Johann Hinrich Wichern-Plakette des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz (1971) Bundesverdienstkreuz 1. Klasse (1972) Agnes Miegel-Plakette (1977) Preußenschild (1981) Paracelsus-Medaille (1984) Graf-von-Lehndorff-Straße in Bonn (2006)
Literatur
Hans Graf von Lehndorff: Ein Bericht aus Ost- und Westpreußen 1945 – 1947. Aufzeichnungen von Hans Graf von Lehndorff, Düsseldorf 1960 (= Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost- und Mittelosteuropa)
Hans Graf von Lehndorff: Ostpreußisches Tagebuch. Aufzeichnungen eines Arztes aus den Jahren 1945 bis 1947, München 1961
Hans Graf von Lehndorff: Menschen, Pferde, weites Land. Kindheits- und Jugenderinnerungen, München 1980
Hans Graf von Lehndorff: Die Insterburger Jahre. Mein Weg zur Bekennenden Kirche, München 1969
Autor: Marco Wachtel M.A. Titelfoto Hans v. Lehndorff aus: Ostpreußisches Tagebuch, München 1961
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