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Historische Kalenderblätter
Walther Heymann – 100. Todestag
Januar 2015 Walther Heymann (*19. Mai 1882 in Königsberg; †9. Januar 1915 bei Soissons in Frankreich)
Der aus Königsberg stammende, heute beinahe vergessene, Dichter Walther Heymann gehörte zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu den talentiertesten Schriftstellern der modernen deutschsprachigen Literatur. Neben Else Lasker-Schüler, Rainer Maria Rilke und Georg Trakl besaß er als Vertreter des literarischen Frühexpressionismus die besondere Gabe, mit seinen Arbeiten auf vielfach empfundene Sehnsüchte und Ängste der Leser einzugehen. Dem studierten Juristen gelang dies, weil er selbst jene beklemmenden Gefühle der damaligen gesellschaftlichen Erstarrung in sich wahrnahm. Vom schädlichen Materialismus der industriellen Moderne vereinnahmt, sollte sich der Mensch daher auf eine naturnahe Lebensweise zurückbesinnen. Um dieses Ziel seinen Lesern vor Augen zu halten, wählte Heymann oftmals Motive aus seiner ostpreußischen Heimat. Die Kurische Nehrung stand dabei häufig im Mittelpunkt. Seine Poesien offenbaren eine außerordentliche Gefühlswelt, voller Sehnsüchte und Träume. Den Kopf voller Gedanken, holen ihn die Schüsse von Sarajevo im Sommer 1914 in die erschreckende Realität zurück. Als Freiwilliger meldete sich Walther Heymann, wie viele andere junge Männer auch, begeistert an die Front. Nach anfänglichen Siegen überlebte er einen Sturmangriff auf Soissons am 9. Januar 1915 nicht. Zu seinem 100. Todestag erinnert das Kulturzentrum Ostpreußen an das Leben und den Nachlass des großen ostpreußischen Dichters.
Walther Heymann wurde am 19. Mai 1882 als jüngstes Kind der Eheleute Richard und Johanna Heymann (geb. Sommerfeld) in Königsberg geboren. Sein Bruder Werner Richard Heymann (1896 – 1961) erlangte nach dem Krieg als Komponist und Dirigent große Bekanntheit. Während die Eltern als Betreiber eines Saatgut-Großhandels darauf hofften, dass der jüngste Sohn später einmal die Geschäfte übernimmt, erkannten schon die Lehrer die dichterische Begabung des jungen Knaben. Nach dem Abitur am Friedrichskollegium in Königsberg studierte Walther Heymann zunächst Jura an der Albertina, verbunden mit einem Rechtsreferendariat in Fischhausen und Insterburg. Kurz vor dem zweiten Examen brach er jedoch die juristische Laufbahn ab, um sich ganz und gar seinen, bereits begonnenen, schriftstellerischen Arbeiten zu widmen. 1905 nahm der befreundete Verleger Adolf Petrenz Gedichte von Heymann in das »Ost- und Westpreußische Dichterbuch« auf, wodurch der 23-jährige erstmals auch überregional bekannt wurde. Zu seinen größten Fürsprechern entwickelte sich der Schriftsteller Richard Dehmel, der mit Blick auf Deutschlands Dichternachwuchs große Hoffnungen auf den jungen Poeten aus Königsberg legte. Mit dem Gedichtband »Springbrunnen« (1906) erschien kurz darauf seine erste eigenständig herausgegebene Publikation. In Erinnerung geblieben ist bis heute jedoch vor allem seine zweite Anthologie »Nehrungsbilder« (1909), in der er seine tiefe Bewunderung für die Kurische Nehrung mit zahlreichen stilistischen Mitteln hervorhob. Zugleich veröffentlichte Walther Heymann wegweisende Artikel über den Wandel der Poesie und Malerei in der Königsberger »Hartungschen Zeitung«, die Thomas Mann in seinen »Buddenbrooks« als bedeutendste deutsche Zeitung hervorhob. 1913 folgte die Hochzeit mit der Malerin Maria Perk, die er seit längerem kannte. Kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs arbeitete er unermüdlich an neuen Abhandlungen »trotzig auf Reife der Kraft und des Erfolges wartend«. Sein Schaffen wurde erst im Zuge der allgemeinen Mobilisierung im Juli 1914 unterbrochen, nachdem er sich freiwillig an die Front gemeldet hatte. Bei einem Sturmangriff auf die Festung Soissons kam er am 9. Januar 1915 schließlich ums Leben. Posthum wurden ein Jahr nach dem Tod seine letzten, noch weitgehend unbekannten Werke veröffentlicht, darunter die einzige prosaische Erzählung »Das Tempelwunder und andere Novellen«. Da der Leichnam nicht identifiziert werden konnte, fand am 28. Februar 1915 eine Gedächtnisfeier statt, die von der Vereinigung ostpreußischer Künstler und Kunstfreunde in Berlin organisiert wurde. Die Trauerrede hielt der Literaturhistoriker Heinrich Spiero.
Walther Heymann war nicht der einzige Schriftsteller, der sein Leben im Kugelhagel verlor. Gerade das junge, intellektuelle Bürgertum vertrat zu Beginn des 20. Jahrhunderts genau jene ideologischen Motive, mit denen die Obrigkeit den Krieg immer wieder zu legitimieren versuchte. Um dem Vaterland zu dienen, meldeten sich begnadete Autoren, wie Alfred Lichtenstein, Ernst Wilhelm Lotz und August Stramm, die im Grunde nichts mit dem Militär zu tun hatten, an die Front. Sie waren schließlich auch die ersten, die nach kurzer Zeit im Trommelfeuer ums Leben kamen. Ohne Aussicht auf Frieden schrieb Walther Heymann zu Beginn des Jahres 1915 in seinem letzten Feldpostbrief die ernüchternden Zeilen: »Mein Leben wäre ganz Anfang, wenn’s bald enden sollte. Wie es auch komme, mir ist Frieden in der Seele […]. Sterben, schad um zehn ungeschriebene Bücher«. In der Betrachtung seines lyrischen Vermächtnisses erkennt man heute noch seine herausragenden Qualitäten als Dichter und Schriftsteller. Vor allem in seinem, ihm so eigenen Sprachstil, der in den »Nehrungsbildern« ersichtlich wird. Die Kurische Nehrung wird hier als Ort der Stille, des Träumens und der unerfüllten Sehnsüchte dargestellt. In einer Gemäldeausstellung, die kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Sommer 1914 in Königsberg über die Nehrung stattfand, beschrieb Walther Heymann diese wie folgt: »Der Gedanke, auf einem Gipfel zu sein, gibt einem – das ist typisch – wieder und wieder die Einsamkeit als Allgefühl, als schwebe man dahin, habe das Irdische überwunden, das der schauende Blick überlegen und von fern zusammenfaßt. Und je mehr der Blick ins Weite und Hohe steigt, umso einheitlicher scheint das All. Erhabenheit wächst empor, wächst schon weit über den Wanderer hinaus. Noch klingt ihm aus allen Fernen etwas von ewigem Wandel großer Himmelskörper wie Riesenschritt der Jahreszeiten, Tanz der Stunden, Gesang der Sphären entgegen, da beginnt der Schreck des Grenzenlosen«.
Die Hochdüne (Aus: »Nehrungsbilder«)
Ich bin das helle Band, das, Meer, Du um Dich ziehst, weit ist Dein Strand;
und bin die grell gespannt, die hoch Du wachsen siehst, mein Rand, wo Himmelfließt;
und was zum Haff abgießt ich bin Gefälle-Wand, unmeßbar Sand. Ich bin ein Höhenzug, der geht gen Norden weit, Zug folgt auf Zug. Ich bin ein Weheflug; Nach West und Osten breit Schwebt mein Gespreit.
Was Meer im Grunde trug, donnernd aus Rädern schlug, bin ich – Unendlichkeit.
Werke von Walther Heymann Springbrunnen, 1906
Nehrungsbilder, 1909
Feldpostbriefe, 1915
Das Tempelwunder (Novelle), 1916
Die Tanne, 1917
Von Fahrt und Flug, 1919
Kriegsgedichte, 1922
Sekundärliteratur Heuer, Renate: Heymann, Walther. In: Stolberg-Wernigerode, Otto zu (Hg.): Neue deutsche Biographie. Bd. 9, Berlin 1972, S. 90.
Motekat, Helmut: Ostpreußische Literaturgeschichte mit Danzig und Westpreußen, München 1977.
Nidden. Die Künstlerkolonie auf der Kurischen Nehrung (Hrsg. vom Zweckverband Dachauer Galerien und Museen), Dachau 2009.
Sprengel, Peter: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1900 – 1918. Von der Jahrhundertwende bis zum Ersten Weltkrieg, München 2004. |